08 Sep Wildes Enderttal
Durch das Tal der Wilden Endert von Kaisersesch nach Cochem
Ich könnte die Tour durch das Tal der Wilden Endert auch von Ulmen oder von Maria Martental aus starten, aber Kaisersesch liegt verkehrsgünstiger. Dass mir jedoch gerade auf dem Wegstück von Kaisersesch nach Maria Martental ein besonderes Erlebnis zuteil wird, das kann ich beim Start noch nicht ahnen.
Schon die Zugfahrt von Andernach nach Kaisersesch ist ein Erlebnis. Sie führt durch recht unterschiedliche Landschaften. Da sind zum einen die Abbau- und Verarbeitungsgebiete der Steine verarbeitenden Industrie etwa bei Plaidt, Kruft oder Mendig. Dann gibt es Streckenabschnitte, wie den durch das grüne Tal zwischen Monreal und Urmersbach, das mangels Straße keinen Autoverkehr kennt.
Im wilden Westen Deutschlands
Das erinnert mich – ich weiß nicht warum – an den Wilden Westen, in dem die Eisenbahn das erste Transportmittel war, das neue Landstriche erschloss. Es geht durch so unterschiedliche Eifelstädte wie Mayen und Monreal, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Mayen umgeben von großen, hässlichen Gewerbegebieten, Monreal, das beinahe mittelalterliche Städtchen, mit seinen denkmalgeschützten Fachwerkensembles, eingezwängt in das enge Tal der Elz.
Einfacher Start direkt am Bahnhof
In Kaisersesch angekommen, verlasse ich den Bahnhof geradeaus, gehe bis zur Trierer Straße, die nur 100 Meter entfernt vorbeiläuft. Direkt dort auf der Ecke, wo die Bahnhofstraße in die Durchgangsstraße mündet, steht rechts die kleine Waldkapelle. Und hier finde ich die ersten Hinweisschilder für den Weg nach Maria Martental bzw. die Markierungen für den Zuweg Wilde Endert.
Ich biege also in das Wohnsträßchen ab, das am Waldhotel Kurfürst in einen Waldweg übergeht. Kurz nach dem Hotel schicken mich die für mich maßgeblichen Wegweiser nach links. Ein kleines Stück durch Wald, dann wieder über ein Wohnsträßchen und dann gleich wieder in den Wald. Es ist der typische Naherholungswald, wie ich ihn von vielen Orten kenne. Hohe, weit auseinanderstehende Buchen, dazwischen die Martinshütte, Trimm-dich-Geräte und viele, viele Wegweiser.
Mehrere Wegabzweigungen, meistens heißt es für mich nach rechts gehen, aber immer auf der Höhe bleibend, bedeuten für mich entspanntes Gehen. Auch typisch für diese Freizeitwälder: Fast zu jeder Tageszeit trifft man unterwegs Jogger und mehr oder minder erwachsene Menschen, die ihre Hunde ausführen.
Warum ein französischer Soldat im Sumpf sterben musste
Ich komme an einem ehemaligen Sumpfgebiet vorbei, in dem ein französischer Soldat, der Napoleons Kriegskasse mit sich führte, elendig ums Leben kam, weil habgierige Kaisersescher in bewusst auf den falschen Weg geschickt hatten, um an die Geldkassette zu kommen. Das erzählt ein Schild am Rand des Moors.
Kurz darauf trete ich an einer Wegkreuzung aus dem Wald, vor mir liegt eine Wiese bzw. Ackerland. Hier laufe ich nach rechts, später dann nach links, auf jeden Fall auf die unvermeidliche Autobahnunterführung zu. Direkt dahinter macht der Weg abermals einen Schlenker, läuft ein kurzes Stück neben der Autobahn einher, biegt dann am Waldrand nach links auf die Landstraße zu.
So will es jedenfalls die Markierung. Genauso gut könnte ich hinter der Unterführung erstmal geradeaus laufen, dann beim nächsten Querweg rechts, so würde ich die Passage parallel zur Autobahn vermeiden.
So oder so, ich erreiche die Landstraße, gehe bis zur Kreuzung, wo die Straße von Breitenbruch einmündet. Denn dort will ich, nein muss ich hin. Auf Höhe des Friedhofs lenkt ein Hinweisschild meine Schritte nach links durch die Wiese, weiter am Zaun entlang, bis zu einem Querweg. Hier – noch im Ortsbereich – rechts, wieder ein paar Meter leicht bergauf und dann wieder links. Und hier geht es nun in den Wald hinein, den ich dann bis nach Cochem höchstens für zwei, drei kurze Wegstücke mal verlasse.
Die Hitze der letzten Tage fordert ihren Tribut
Auf schmalem grasbewachsenem Pfad, unter leicht vertrocknet wirkenden kümmerlichen Eichen, tauche ich ein in eine Welt, die mir ein wenig verhext vorkommt.
Im wildwuchernden Dickicht geht es deutlicher bergab, mittlerweile auf schiefrig-lockerem Pfad bis zu einem Querweg. Hier kommt das Licht nicht mehr so gut durch, die Bäume sind ein wenig höher, bilden ein geschlossenes Kronendach.
Was macht die kleine Kapelle mitten im Wald?
Ich gehe rechts, jetzt deutlicher bergab, passiere rechts ein paar Fischteiche. Auf deren Höhe taucht linker Hand vor mir unvermittelt eine Kapelle auf, die ungewöhnlicherweise im geschlossenen Wald liegt. Kein freier Platz drumherum, sondern eng umstanden von niedrigen jungen Buchen.
Hier weist mich die Markierung nach links durch die Barriere. Für wen ist die gedacht? Mein Blick folgt dem weiteren Verlauf des Pfades im Wald. Und auf einen Schlag nimmt mich der eigenartige Zauber dieses Waldstückes gefangen.
Vom Zauber gefangen
Ich atme diese magische Stimmung ein, sie erfasst alle meine Sinne. Die jungen Buchen wirken fremdartig. Die meisten Stämme streben nicht geradlinig gegen das Licht, also nach oben, sondern viele sind leicht schlangenartig gebogen, als hätten sie sich hin- und herüberlegt, in welche Richtung sie wachsen sollen. Und doch fühle ich mich wohl. Meine Füße werden von selbst langsamer, rollen sachte ab. Was scheinbar auch meinen Knien guttut.
Einfach gehen
Ganz gemächlich gehe ich weiter in diesem Taleinschnitt. Nichts treibt mich mehr voran. Kein Ziel, das ruft, das wartet. Einfach gehen, so kommt es mir in den Sinn. Absichtslos setze ich einen Schritt vor den anderen. Der Zauber bleibt, verliert sich nicht. Ist das Glück? Aber ich brauche dafür keinen Namen. Links und rechts wird es jetzt wieder grüner. Ein hohes Sirren lässt mich aufmerken.
Das hört sich nach Hornissen an. Angst macht mir das in diesem Moment nicht. Es sind keine Hornissen, ein paar Schritte weiter und ich stehe vor einer Kläranlage. Irgendein Aggregat gibt diesen hohen Ton von sich. Mein Pfad stößt an einen Querweg. Es geht für ein paar Schritte hinaus in das helle Sommerlicht.
Was lockt mich ins Schieferland Kaisersesch?
Das Hinweisschild Zuweg Wilde Endert schickt mich nach rechts. Aus den Augenwinkeln erfasse ich eine weitere Markierung: Schieferland Kaisersesch. Diese zeigt nach links. Während ich die ersten Schritte nach rechts mache, steigen in mir Erinnerungen an eine frühere Wanderung in dieser Gegend auf. Damals führte mich der Weg in den Bereich der alten Schieferabraumhalden hinein, von dort dann aber weiter nach Maria Martental.
Spontan entscheide ich mich um. Ich werde die Schieferhalden suchen, und anschließend darauf vertrauen, dass ich den Weg nach Maria Martental auch von dort aus finde. Ich gehen also zurück zur Wegverzweigung, folge dem Weg jetzt in die Gegenrichtung. Schon nach der ersten Biegung stehe ich an einer erneuten Gabelung. Die Schieferland-Markierung weist mich nach rechts auf einen abwärts führenden grün überwachsenen Weg, während der gut befestigte Wirtschaftsweg weiter bergauf führt.
Die Freuden Mariens
Was mich an diesem Abzweig noch fasziniert, ist das Hinweisschild: Stationen der Freuden Marias. Das überrascht mich, macht mich neugierig. Ich kenne gerade aus der Eifel viele Kreuzwege, beeindruckende Kreuzwegstationen auch draußen in der Natur. So etwa am Kalvarienberg in Alendorf. Aber einen Stationenweg der Freude, das habe ich noch nie gesehen und auch noch nie davon gehört.
Etwa alle 30 bis 40 Meter steht eine Bildtafel am Rande des Weges, gegenüber meist eine Bank, sodass man sich die dargestellten Szenen in Ruhe anschauen kann. Da freut sich die Unbefleckte Jungfrau über die Empfängnis des Jesuskindes, sie freut sich über die Geburt des Heilands und sie freut sich über die Gaben der Heiligen drei Könige. Ich habe die Stationen nicht gezählt, aber es sind noch drei oder vier mehr.
Satz mit X
Das üppige Grün dieses Talweges bildet einen ansprechenden Rahmen für diese Art der Kontemplation. Am Ende dieses Weges stehe ich an einer anmutig geschwungenen Holzbrücke.
Nach ich die Brücke überschritten habe, stehe ich an dem großen Parkplatz von Maria Martental. War also nix mit Schieferhalden. Zumindest heute nicht.
Ein Christus ohne Hände?
Rechts am Kirchengebäude vorbei bis zu dessen Rückseite: Dort stehen zwei, drei Bänke. Ich lasse mich in der Nähe des Christus ohne Hände nieder. Welch ein eindrückliches Symbol: Das Herz so voll, aber um die Liebe und das Mitgefühl unter die Menschen zu bringen, braucht er: die Menschen. Das sagt auch die Tafel unterhalb der Marmorskulptur.
Linker Hand vor der rückwärtigen Kirchentür liegen vier beschriftete Bretter: Ich bin als Fremder gekommen, aber ihr habt mich aufgenommen! Wie wichtig in dieser unserer Zeit.
Nach einer kurzen Pause folge ich dem Weg der Kreuzwegstationen weiter hinab ins Tal. Der schmale Weg verengt sich zum Pfad, biegt dann unmittelbar vor dem rauschenden Wasserfall des Endertbaches nach links über die Holzbrücke ab. Der Kreuzweg führt rechts weiter.
Wilde Endert – rauschender Wasserfall
Nach der Brücke steige ich die paar Meter zum Fuß des Wasserfalls hinab. Dort unten mache ich ein paar Aufnahmen, dann aber heißt es, weitergehen, denn ich bin noch im ersten Drittel meiner Tour.
Auf einem gut befestigten Waldweg laufe ich Richtung Straße. An der mächtigen Napoleonsbrücke, die sich hoch über den Endertbach spannt, treffe ich auf die L100. Ca. 150 Meter geht es direkt neben der Straße bergab, bis mich links ein Weg wieder zum Bach hinunterleitet.
Zahme Wilde Endert
Und dort wird unser Weg für die nächsten sieben bis acht Kilometer bleiben. Die Endert ist aktuell gar nicht so wild, wie ihr Name behauptet. Die Trockenheit der letzten Augusttage und -wochen hat ihr das Wasser genommen und sie ganz schön zahm gemacht.
Wegen des Waldes ist es schattig. Da es fast nur bergab geht, komme ich auch kaum ins Schwitzen. Trotzdem ist die Tour ganz schön abwechslungsreich. Mal geht es auf schmalem Weg direkt neben dem Bach daher, dann auf schmalem, teil abschüssigem Steig in mehr als 15 Metern Höhe über Bachniveau am steilen Hang entlang. Langeweile ist out, Abwechslung ist garantiert.
Das Tal ist eng (nicht überall), die Hänge sind steil (nicht immer), trotzdem gibt es etliche Gebäude am Bachlauf. Ich muss des öfteren über Stege von einer Bachseite zur anderen wechseln – der Bach hat hier das Sagen, nicht der Mensch.
Hin und wieder lassen einzelne Grundbesitzer einen schmalen Durchlass durch ihren privaten Besitz.
An anderer Stelle ist der Untergrund holprig, der blanke Schiefer steht senkrecht, gleichzeitig ist zwischen Bach und Grundstückzaun nur ein halber Meter Platz.
Der alte Weg ist abgerutscht
Ich komme an Engstellen vorbei, wo die Endert sich im Lauf der Jahrtausende durch mächtige Felsriegel gegraben hat. Große Gesteinsbrocken finden sich stellenweise auch im Bachbett.
An einer Stelle ist der Pfad nahe an der Hangschulter gesperrt, einen Grund kann man nur erahnen. Hier geht es über etliche Stufen steil bergauf und danach gleich wieder bergab, zurück zum Bach. Wohin auch sonst in diesem engen Tal?
Aber gerade das macht den Reiz dieses Weges ja aus. Und das Wichtigste: Auf der ganzen Strecke begleitet mich das Plätschern des Baches, höre ich sein Murmeln und Rauschen.
Die alten Häuser: Fast immer sind es ehemalige Mühlen, die bekannteste unter ihnen ist die Göbelsmühle. Sie befindet sich etwa auf halber Strecke durch das Tal, dort kann man einkehren.
An keiner dieser alten Mühle aber dreht sich noch ein Mühlrad. Schade, denn die wildromantische Landschaft würde einen glaubhaften Hintergrund für solch ein Bild abgeben.
Noch einmal volle Konzentration
Noch einmal folgt eine nicht ungefährliche Passage: Am rechten Ufer steigt der Pfad immer mehr an – und hier sollte man ihn gut im Auge haben. Denn er ist teilweise sehr schmal und stellenweise auch schon abgerutscht. Linker Hand Richtung Bach geht es steil bergab. Bis zu 15 Meter Höhenunterschied schätze ich. Ich würde wohl nicht zu Tode stürzen, aber ich hätte Mühe, es aus dem Bachbett wieder hinauf auf den Pfad zu schaffen. Schließlich endet dieser Anstieg des Pfades an einem Querweg – aber ich bin noch lange nicht am Ziel.
Auf gut befestigtem Forstweg geht es weiter talwärts. Ruhig fließt die Wilde Endert unterhalb des Weges dahin. Aber immer noch ist erkennbar, wie eng das Tal hier ist. Nicht zuletzt die Bäume signalisieren das dadurch, dass sie fast nur ein Wuchsrichtung kennen, wenig in die Breite, dafür aber nach oben streben.
Es ist dann wieder eine alte Steinbogenbrücke, die das Ende des wilden Teils des Enderttales markiert. Nun geht es noch einmal ein paar Hundert Meter durch dunklen Nadelwald, dann noch um eine Kurve und unvermittelt stehe ich vor dem Hotel Weißmühle. Für den Wanderer gibt es eine große Terrasse. Die Kuchenauswahl ist begrenzt auf zwei Sorten. Der Cappuccino ist lecker, der Kuchen auch.
Die letzten (Kilo-)Meter im Tal der Wilden Endert
Vom Hotel aus geht es über das asphaltierte Zufahrtssträßchen noch einmal ein paar Hundert Meter bis zur Verbindungsstraße Cochem-Kaisersesch. Um jetzt aber nicht den ganzen Rest des Weges neben der Straße zu laufen, wähle ich kurz vor der Landstraße den Aufstieg auf schmalem Pfad in den Wald rechter Hand.
Aus dem Wald heraus, durch ein Wohngebiet mit nur wenigen Häusern, über eine Querstraße hinweg, führt mich mein Weg, weil ich keine Lust habe, neben der unruhigen Landstraße zu laufen
Dann folgt noch ein kurzer Anstieg auf der Zufahrtsstraße zur Winnenburg, nach hundert Meter halte ich mich wieder links in den Wald (Richtung Cochemer Rittersprung).
Dann noch ein-, zweimal auf die richtigen Abzweige (beim ersten links, beim zweiten rechts) achten (Richtung Cochem), aber stets im Wald, und plötzlich stehe ich an einer Treppe, die mich hinunter auf die Endertstraße in Cochem bringt.
Ab hier sind es nur noch zwei-, dreihundert Meter und schon stehe ich mitten im Zentrum von Cochem, genau dort wo die alte Skagerakbrücke über die Mosel führt. Aber ich will ja nicht nach Cond, den am gegenüberliegenden Ufer befindlichen Ortsteil von Cochem. Ich will zum Bahnhof, deshalb gehe ich zur Uferstraße, die hier natürlich Moselstraße heißt. Auf dieser ca. fünf Minuten nach links und schon stehe ich am Bahnhofsvorplatz.
Das Wichtigste in Kürze:
Start: Bahnhof Kaisersesch
Ziel: Cochem Bahnhof
Länge: 16 km
Dauer: 5 Stunden
Markierung: Aufgemaltes M für Maria Martental, aber fast überall an wichtigen Abzweigungen auch die Beschilderung Zuweg Wilde Endert.
Schwierigkeitsgrad: mittel (an einigen Passagen ist Trittsicherheit gefragt)
Wegbeschaffenheit: meist schmaler Steig auf Naturgrund, teilweise befestigte Waldwege
Anreise: mit der Bahn: Für die Rheinschiene: Mit dem Zug bis Andernach, ab Andernach stündlich eine Verbindung nach Kaisersesch Infos: vrminfo.de/
Johanna
Posted at 21:44h, 04 DezemberHallo,
vielen Dank dass du uns mit auf die Tour genommen hast! Die Bilder finde ich sehr inspirierend. Was auch sehr gut klingt ist, dass man von Bahnhof zu Bahnhof wandern kann also entfallen praktisch die logistischen Probleme. Ich habe auf alle Fälle Lust bekommen und werde die Wanderung direkt auf meine Liste für 2017 setzen!
Liebe Grüße
Johanna
Bernhard Stricker
Posted at 13:13h, 02 NovemberIch bin in dieser Woche vom Kloster Martental aus bis COC die wilde Endert gewandert, an einem der letzten schönen Tage im Oktober, es ist ein tolles Erlebnis und ein bißchen kondition ist auch gefragt…aber letztendlich stolz und zufrieden in COC angekommen mit vielen eindrucksvollen Erlebnissen…!
Hans Joachim Schneider
Posted at 16:17h, 02 NovemberLieber Bernhard, das ist schön. Ja, und gerade jetzt im Oktober dürfte es dort besonders schön sein. Ich hoffe, dass ich auch bald mal wieder die Tour machen kann, denn immer wieder zieht mich das Enderttal in seinen Bann. Liebe Grüße, Joachim